Ranzenpost 32: Gegen das Vergessen

Liebe Eltern und Freunde unserer Schule,

Vom 17. Juni bis 7. Juli fand vor dem Hofspitalhof eine Ausstellung des Künstlers Luigi Toscano statt. Auf großformatigen Portraits werden Holocaust Überlebende gezeigt und ihre Geschichten erzählt. Luigi Toscano besuchte als Vorbereitung für die Ausstellung über 100 Überlebende, portätierte sie und sprach mit ihnen über ihre Erlebnisse während der NS-Herrschaft. Das Künstlerkollektiv „Lokstoff“ erarbeitet sich mit 21 Schauspielerinnen und Schauspielern ein zur Ausstellung passendes Stück.
Durch glückliche Umstände konnten die Klasse 11A und einige Tage später die Klasse 13A an einer Führung durch diese Portraits teilnehmen. Im Nachfolgenden lesen Sie den Eindruck einer Schülerin aus der 13. Klasse:

„Der Holocaust. Ein Thema, das unsere Gesellschaft bis heute beschäftigt. Jeder von uns hat es im Geschichtsunterricht behandelt, hat die Fakten, Zahlen und Daten eines Massenmordes irgendwo in seinem Geschichtsordner abgeheftet. Sechs Millionen Tote. Eine unvorstellbare, abstrakte Zahl. Diese Zahl lenkt jedoch von der eigentlichen Opferzahl ab, denn auch die Überlebenden waren nach ihrer Gefangenschaft im Konzentrationslager gezeichnet und hatten einen langen Weg der Verarbeitung vor sich, der das ganze restliche Leben vereinnahmen konnte. Jetzt ist die letzte Chance sich mit diesen Überlebenden zu befassen, denn bald schon wird es sie nicht mehr geben.

Die Gefangenschaft in Auschwitz ist etwas Unbegreifliches, zu dem ich außer Zahlen und Fakten kaum einen Bezug hatte. Natürlich war mir klar, dass diese Taten an Kaltblütigkeit kaum zu überbieten sind, doch ein echter Bezug zu den unzähligen Leben, die beendet wurden, fiel mir schwer. 
Und genau darauf zielt das Projekt von Lokstoff ab: Einen Bezug zu den Leben der Opfer zu finden. Dabei ging es nicht einzig um das Leben VOR Auschwitz sondern auch um das DANACH. Darum, wie die Überlebenden ins Leben zurückgefunden haben. Diese Perspektive hat mich sehr nachdenklich gemacht. Zuvor wurde ich stets von der Zahl 6.000.000 umgehauen, sodass ich mich nie mit den Überlebenden dieser Katastrophe auseinandergesetzt hatte. Man könnte es beinahe als schwereres Schicksal sehen als den Tod selbst. Auschwitz nicht nur körperlich, sondern auch seelisch zu überleben ist unfassbar. Wie lebt man weiter, nachdem man so tief in die menschlichen Abgründe gesehen hat?

Die Stärke der beiden Frauen, die uns näher vorgestellt wurden, hat mich sehr berührt. In ihre überlebensgroßen, vom Leben gezeichneten und doch lebendigen Gesichter zu blicken während ihre Geschichten abwechselnd in Original-Ton-Aufnahme und durch eine Schauspielerin erzählt wurden, hat mich gefesselt und mir diesen bis dahin fehlenden Bezug zu den Opfern des Holocausts gegeben. Wir alle lernen die Zahlen. Aber Fakten lernen und Schicksale begreifen sind nunmal zwei paar Schuhe. Nur wer die Grausamkeiten des 3. Reiches wirklich begreift, wird alles dafür tun, dass so etwas nie mehr möglich ist.“

Lucia MacKenzie (Klasse 13)