Ranzenpost 30: alea iacta est

Auf der östlichen Süd-Nord-Tangente Italiens ist eine Tankstellenanlage nach ihm benannt worden: dem Rubicone. Ein Flüsschen, das den Ausläufern der Apenninen entspringt und das in der Adria mündet und durch das Generationen von Waldorfschülern mussten: natürlich bildlich gesprochen. Denn so unbedeutend der Rubicone für das natürliche Gleichgewicht scheint, so wichtig war er für die Geschichte des Römischen Reiches und ist es bis heute für die Waldorfschüler.
Marcus Licinius Crassus, Gnaeus Pompejus Magnus Hispania und Gajus Julius Cäsar schlossen im Jahr 60 v. Chr. das so genannte erste Triumvirat. Damit teilten sie untereinander die sterbende Republik auf. Cäsar erhielt Gallien. Allein ein gewisser Vercingetorix bot dort dem Statthalter mit 200 000 Mann die Stirn. 52 v. Chr. belagerte Cäsar Alesia und hungerte die Rebellen bis zu deren Aufgabe aus. Vercingetorix wurde schließlich nach sechsjähriger Gefangenschaft auf Cäsars Befehl unter dem Kapitol hingerichtet. Für Cäsar endete der Gallische Krieg rechtzeitig, denn das Triumvirat hatte nach dem Tod von Crassus in der Schlacht bei Carrhae gegen die Perser aufgehört zu existieren. Pompejus meinte allein herrschen zu können, forderte Cäsar zur Auflösung seines Heeres und zur Heimkehr auf.
Und nun stand Cäsar mit seinem längst nicht aufgelöstem Heer am Rubicone. Wo liegt das Problem, könnte man meinen, doch ein auch den Rubicone betreffendes römisches Gesetz verbot, das Flüsschen mit einem Heer, einer Kohorte oder einer Legion ohne Zustimmung des Senats zu überqueren. Wer es dennoch wagte, galt als Vatermörder und Gotteslästerer. Dennoch zögerte Cäsar nicht und überschritt am 10. Januar 49 v. Chr. den Rubicone mit den Worten „Alea iacta est!“ (Der Würfel ist gefallen!) Es gab kein Zurück!

Unbewusst merken die Kinder im neunten Lebensjahr auch davon, dass es kein Zurück gibt. Sie blicken mit anderen Augen auf die Welt und stellen Fragen, die die Erwachsenen in Erstaunen versetzen: Hast du mich wirklich lieb?, Was ist, wenn ich im Krankenhaus vertauscht worden bin?, Seid ihr meine Eltern? u.ä. Sie sprechen auch vom Tod. Die Kinder sind nun weniger Nachahmende, sondern, wie sie Rudolf Steiner einmal bezeichnete, Nachfolgende. Dabei suchen sie Autoritäten und Vorbilder genau heraus, schauen auf ein sicheres Auftreten der Erwachsenen, um diesen zu folgen und zu verehren. Erlebter Unsicherheit kann Aufsässigkeit folgen. Die Kinder schauen sich nun die Dinge, Erscheinungen von außen genauer an. So können sie sich mitunter als von der Welt getrennt empfinden.
Dem tragen wir auch mit der Handwerkerepoche Rechnung und durften infolge in die Werkstätten der Schule schauen und die Dinge be- und ergreifen. Mit Herrn Knödler und Frau Hammerschmidt haben wir den Apfelsaft pressen dürfen, unser Wintergetreide aussäen können, zuvor hatten wir das Feld gepflügt und geeggt, bei Frau Koppenborg und Frau Stadler in der Buchbindewerkstatt war es möglich, sich ein eigens Heft zu binden, bei Herrn Shaliv wurde getöpfert und bei Herrn Ecke geschmiedet.
Weil wir uns der Umgebung nicht ständig hingeben können, krönte die Hausbauepoche das dritte Schuljahr. Ein Abgrenzungsinnenraum wird geschaffen. Vom Fundament (den Beinen) bis zum Dachabschluss (das Haupt) besprachen wir die Buntheit des menschlichen Hausbaus, nahmen auch zu tierischen Behausungen Bezug; zeichneten, malten und entwarfen selbst Grundrisse und Häuser. Weil man aber auch mit seinem Haus in Beziehung zur Umwelt tritt, gehören Fenster und Türen dazu. Der Atmungspozess vom Innenraum nach draußen und umgekehrt geht vonstatten.

In den vorliegenden Abbildungen können Sie sehen, wie unterschiedlich schön jedes Kind auf seine Weise den eigenen Entwurf in die Tat umsetzte. Dass hierbei auch freundlicher Rat eingeholt wurde oder manch elterlich oder großelterlich unterstützende Hand zum Gelingen verhalf, schmälert keine der Arbeiten, denn vozüglich wurde der gesamte Prozess von den Kindern ergriffen und getätigt.

Uwe Andraschik